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Tadeus Pfeifer, (1949–2010)

«Kurt Fahrners zeitlose Anrüchigkeit»
(1988/89, in Katalog zur Ausstellung, Galerie Littmann Basel)


Er erzählte Geschichten auf der Bildfläche, Märchen und Dramen, die von Herzen kamen und zu Herzen gehen, moderne und zeitlose Ereignisse von hier und aus der ganzen Welt, eingebettet in die Erzählweise oberrheinischer Traditionen, auch mit Blattgold und in gotischem Höhenflug.

In diesem Sinn ist Basel das Zentrum von Kurt Fahrners Kunst, von hier aus erlebte und sah und malte er in vollblütigem Für und Wider die Welt. Und umgekehrt bleibt die Stadt auch über zehn Jahre nach dem Tod des Künstlers in der Auseinandersetzung mit ihm keineswegs objektiv: Modellhaft für die Welt genommen, hat sie ihm zuviel Leid angetan, um nicht auch heute noch von seiner leidenschaftlichen künstlerischen Zurwehrsetzung peinlich und zugleich wollüstig berührt zu sein. So lebt Kurt Fahrner weiterhin in Basel, der Mann, dem die Staatsanwaltschaft vor dreissig Jahren ein Bild konfiszierte, das in zeitgenössischer Form kaum etwas anderes zeigte als auch bewährte Museumsschätze zeigen, zu denen dieselben Ordnungshüter am Sonntag ihre Kinder führten: eine nackte Frau, eine Madonna.

Die elende Story um das Bild «Gekreuzigte Frau» ist kompetent dokumentiert und publizistisch diskutiert, («Der Fahrner Prozess», herausgegeben von Martin Schubarth, Lenos Verlag, Basel, 1983), hier braucht darauf nicht mehr eingegangen zu werden. Es soll aber Anlass sein, ein paar Gedanken zur Anrüchigkeit in der Kunst Fahrners aufzuwerfen, denn die anrüchjge «Gekreuzigte Frau» – oder «Kreuzigung», wie das Bild auch heisst – ist nicht nur ein zentrales Werk im Œuvre, sondern repräsentiert eine Grundthematik, die durch die meisten seiner andern Werke geistert. Ich nenne es Anrüchigkeit und meine etwas Bewundernswertes. Alles – ehemalige? – bürgerlich-chauvinistische Ärgernis bei Fahrner ist unmittelbar auch Faszinosum. Das meisterhafte Handhaben des Kräfteverhältnisses von Abstossung und Anziehung – das ist jenes Skandalon, das ihm die Philister nicht verzeihen konnten, sein ausgezeichnetes Spiel mit den verdrängten, in Farbe und Linie blossgestellten Wünschen und der ebenso blossgestellten öffentlichen Moral. Insofern ist Fahrner in allen seinen Bildern sehr konsequenter Moralist.

Als solcher geht er gerne den schlimmstmöglichen Weg, und fast immer ist seine Zärtlichkeit verletzt, deshalb malt er. Aber er unterdrückt seine Verletzung nie, er stellt sie dar und begreift sie als diejenige jedes Menschen. Immer ist er neu erstaunt und ergriffen, dass die Verletzung überhaupt möglich ist, und er erkennt trauernd die eigene Möglichkeit und Fähigkeit, sie zuzufügen. Der Hintergrund, vor dem er sich gestalterisch dabei bewegt, ist witzigerweise ein Lieblingskind des Bildungsbürgertums: altmeisterliche Sakralkunst.

Fahrner liefert sich aus und zeigt Gegensätze auf – in seinem eigenen aktiven Leben und in seinen Bildern, die zugleich erotisch/erotisierend sind und diese Erotik anklagen, auf Schönes und Hässliches hinweisen, Gesellschaftskritik genauso formulieren wie sinnlichen Triumph. Gemeinsame Klammer ist der Vitalismus, in der sich die Frage des Entweder-Oder, die den Künstler persönlich wohl noch quält, selber beantwortet. Das weiss er und nimmt es gelassen: «Der eigentliche Prozess des zentralen Kunstwerkes ist eine Bilanz, welche das Unangenehme auf der einen Seite und die Freude am Dasein auf der anderen Seite hat. Der ausgewiesene Gewinn ist das fertige, vollendete Gemälde.»

Diese Gelassenheit aber, der «ausgewiesene Gewinn», ist teuer bezahlt und der hohe Preis in jedem von Kurt Fahrners Bildern sichtbar, denn die Reibungsflächen sind immer da: In dem «Gewinn» sind die argen Gegensätze keineswegs aufgehoben; sie bestehen nur nebeneinander. Fahrners Voyeurismus entspricht seinem Exhibitionismus; er verschlüsselt seine Anliegen nie, und wenn er noch so radikal auf die Geschundenheit der Frau aufmerksam macht, so steht er immer selbst im Begriff, zu schinden. Auch das weiss er, denn er ist grundehrlich, und es entsetzt ihn. Sein Wissen und sein Entsetzen gehören zu seinem Glücksempfinden und zu seiner Aesthetik. Franz Meyer (ehem. Direktor Kunstmuseum Basel) hat es, indem er diesen Gedanken erweiterte, besonders anerkennend formuliert: «Die Frau ist, dem Christusbild gemäss, nicht nur Gepeinigte am Kreuz, sondern auch Herrin, Repräsentantin des 'Imperiums', das in Fahrners Vision anstelle des Männerreiches tritt.»

So weit geht der flüchtige Betrachter gewiss nicht, und immer ist es ja die oberflächliche Öffentlichkeit, der sich der Künstler hauptsächlich aussetzt. Diese ist ungebildet und träge. Ihr Urteil ist brutal und simpel. Sie akzeptiert nur das Bewährte und begreift alles Neue als Angriff darauf, solange bis das Neue sich bewährt hat. Aber ist der bewährte Fahrner heute akzeptiert und entschärft? Er hat Tabus berührt, die heute offenliegen, längst keine mehr sind. Was ihn politisch aufgeschreckt hat, ist in die Feminismus- und sogar Terrorismusdebatte eingeflossen. Wäre Fahrners malerische Botschaft somit eingeholt? Die Zeiten haben sich, wie es so schön heisst, geändert. Wäre Fahrner nicht mehr anrüchig? Nein, die Anrüchigkeit – also seine Aktualität – hat sich nur verlagert. Er hat sich nie geschämt, sich auf Einflüsse und Traditionen zu berufen, im Gegenteil, er entwickelte sie weiter und benutzt die alten Formen für seinen neuen Inhalt und passte sie ihm an. Was heisst das? Nichts anderes, als dass Fahrners Malerei weiterhin anrüchig bleibt in ihrer Berufung und Bezeugung der alten Meister. Es sind Fragen nach Form und Ikonographie, die Fahrner heute – gerade weil sie so vielzitiert und -diskutiert sind – sehr schmerzhaft stellt in seiner Verweigerung des Hermetischen. Anrüchig, obszön, enttabuisierend usw. ist erneut die direkt ausgesprochene, direkt gezeigte Thematik, die der Theorie entzogen ist. Form und Formeln, von der Postmoderne um- und umvariiert (und Fahrner ist kein postmoderner Maler) «tragen» bei Fahrner gewissermassen unintellektuell, weil sie nicht postmodern für sich selbst zitiert oder modernistisch nachgeahmt sind, sondern für Gegenwartsinhalte praktisch verwendet. Wenn das nicht anstössig ist.

Fahrners Verfahren ist durchdrungen von seinem Vitalismus, eigentlich ein Begriff aus der Literatur, der ihn an die geschmacklichen Grenzen der zeitlicherlebten Sinnlichkeit gehen lässt, was als Innovation fortdauernd interessant wirkt, da es neue aesthetische Gesetzmässigkeiten erschliesst. (Ohne künstlerische Vergleiche riskieren zu wollen, könnte man zu diesem Aspekt bleibender künstlerisch-aktueller Anrüchigkeit Goya und Schiele erwähnen, in der Musik z.B. Alban Berg, in der Literatur etwa Curzio Malaparte.)

Ich erinnere mich natürlich persönlich an Kurt Fahrner, auch wenn wir uns nur knapp grüssten. Oft beschattete ein grosser, schwarzer Hut das zerfurchte Gesicht, der das Verwegene, das er ausstrahlte, unterstützte. Ich weiss nicht mehr, ob er tatsächlich einen sogenannten Seemannsgang gehabt hat, aber irgendwie gehört das zu meinem Erinnerungsbild eines einschüchternden Riesen, der mit instinktiver Vorsicht auf einem Weg voller scharfer Scherben geht.

In den Bildern der letzten Lebensjahre kündigt sich eine Veränderung an, die als Beginn einer neuen Phase von Fahrners Künstlerschaft zu begreifen ist. Die neue Periode hätte gewiss, zieht man seine Gründlichkeit in Betracht, sich über eine lange Zeit entwickelt; sie erscheint als eine Art Aufbruch zu gelösteren, lockerern psychischen Zuständen. «Löwentanz der chinesischen Akrobaten», das mit ihnen verwandte «Tunesische Schloss» und «Elisabeth» sind gute Beispiele für Fahrners erneuerte malerische Freiheitssuche, die sich zum Zeitpunkt seines Todes offenbar in entscheidendem Auftrieb befand, sich lösend von den fetischistischen Fixierungen, die so viel zum Reiz, zum Anreiz, zur Reizung früherer Hauptwerke beigetragen hatten. Fahrner wird grosszügiger sich selbst gegenüber; eine Art Versöhnung hat künstlerisch stattgefunden, das «Unangenehme» scheint die «Freude am Dasein» zu akzeptieren, umgekehrt integriert die «Freude» das Unfreundliche. Das heisst nicht, dass sich die Gegensätze unbedingt entschärfen (erinnert seien die «4 Frauenköpfe», 1975), aber sie greifen ineinander über, und so ist es spannend und sicher abenteuerlich im Sinne Kurt Fahrners, sich das Dutzend Jahre (auch kunstgeschichtlich), das seit seinem Tod vergangen ist, in seiner Reaktion vorzustellen und zu erwägen, wo er sich vielleicht heute befände, bald sechzigjährig.


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